Samstag, 7. Juli 2012

Lueginsland Ausgabe Dezember 1978

Lueginsland / 1978 / Dezember

Inhalt
DJ Rudi Schäble erzählt über sein Leben - Vor dem Gericht: Atomkraftwerk Gundremmingen - Helmut Haller: "I bin a Hettabacher" - Koster Oberschönefeld, 2. Teil - Report über Zirkusmusiker - Taormina, Schilderungen aus Sizilien III. Teil - Comic "Der blinde Willi" (Globus oder Klobus?)

Redaktion
 Arno Loeb, Kurt Idrizovic, Gerhard Müller, Josef Sedlmair, Arthur Müller, Willi Schmid, Bernhard Leitenmaier, Inge Kattler, Anton Gamperling

Freie Mitarbeiter
Ottilie Wilk, Helmut Angeli, Christiane Sedlmair, Klaus Müller, Werner Haller, Thomas Hammerl, Ingrid Datz, Gerhard Müller, Juliane Zabawski

Titelbild
Obertreis, Leitenmaier, Haller

Fotos
Dominik Obertreis, Bernhard Leitenmaier, Arno Loeb

Geschäftsführung
Peter F. Fischer

Druck
Hans Böhm, Augsburg


Augsburger Stadtmagazin Lueginsland / Ausgabe Dezember 1978
Inhalt: Rudi Schäble / Helmut Haller / Atomkraftwerk Gundremmingen / Goldschmied Frank Roger Pichler











Café Lueginsland
Rudi Schäble 
Augsburgs Mode- und DJ-Legende

Prall gefüllt sind Rudis Ledertaschen mit Glimmer-, Glitzer-, und Satinkleidern. Vor dem Schlafzimmerspiegel trägt er gekonnt Rouge auf, tupft Kayal ins Auge, zupft seine frischgewaschenen Haare zurecht und tippelt in seinen roten Disco-Stompers vor die Fotolinse.
Nach zwei Stunden sind wir fertig, Ergebnis: Ein Ausschneidebogen mit Rudi zum An- und Ausziehen. Die Überschrift dazu fällt Rudi gleich selber ein: „Mit welcher Kleidung schocke ich meine Verwandten zu Weihnachten?“

Zum üblichen Weihnachtsrummel ein frecher Beitrag unserer Cafehausredaktion.

WAHNSINN, WAHNSINN

Gewollt war er nicht, der Zusammenhang, aber vor genau zwölf Jahren, genau an Weihnachten begann Rudis Karriere zum geliebtesten und gehaßtesten Diskjockey „in the Town“. Mit sechzehn verließ er das spießbürgerliche Milieu seiner Eltern. Rudi: „Die haben gesagt „verschwind!“

Menschliche Reue ließen Rudi am Heiligen Abend heimkehren. „Zwei graue Lodenmäntel“ standen am nächsten Tag vor der Tür. Die zwei Herren vom Jugendamt schafften Rudi für zwei Jahre ins Erziehungsheim. Wieder heraus, fand er im „Big Apple“, Augsburgs berühmtesten Beatschuppen, in der Gögginger Straße, der als Rauschgifthöhle vor ein paar Jahren geschlossen wurde, eine Wohnung und einen Job als Putzfrau. Betreut die Garderobe und steigt auf zum Kellner. Rudis Stunde schlägt, als der Diskjockey ausfällt.
Rudi als DJ im Ice.

Er besteigt seinen Thron, die Diskothek. „Der Armersberger, der damals Geschäftsführer war, hat mich mehr oder weniger hinaufgeprügelt. Der hat damals gesagt: Wahnsinn, Wahnsinn! Du stehst eine Stunde da oben und der Laden kocht“.
So kochte Rudi die heißesten Klangsoßen von ganz Augsburg und wurde beim Disco-Publikum berühmt. Ohne eine Spur Melancholie erinnert sich Rudi an den Anfang zurück. Seine Augen werden nicht feucht. Er hat Distanz.

EINMAL MIT BOWIE SCHLAFEN

„Ich bin unter drei Frauen aufgewachsen. Ich weiß, was die Frauen denken. Deswegen will ich keine Frau.“ Nach einigen Stunden Gespräch bei mehr Wein als Kaffee kommt unser Gespräch auf seine geschlechtlichen Ansichten und Absichten. Ist der „schwule Rudi“, wie er sich selbst nennt, wohlwissend, wie ihn die anderen nennen, wirklich schwul? Freilich hat er schon Mädchen gehabt und mit einer Frau zusammengewohnt. „Die Frauen wollen Dich gefangen nehmen und aussaugen, das gefällt mir nicht“, giftet er. Rudi ist weder homo- noch trans- noch bisexuell. Einfach sexuell. Er schlage in die Richtung seines Pop-Bruders David Bowie, den rothaarigen Rock-Elegantling. Rudi äußert seinen größten Wunsch: „Einmal mit Bowie schlafen und sterben“. Beim Wünschen lacht er. Bowies Telefonnummer hatte er schon, aber es hat nicht geklappt und hinterherlaufen tut Rudi selbst einem David Bowie nicht. Da ist er ganz Frau. „Man muß mich bedrängen, wenn man was von mir will“, sagt Rudi und zieht eine nette Schnute.

ICH BIN SOZIALARBEITER

Beinahe wäre Rudi für Augsburg verloren gegangen und in Hamburg hängengeblieben. Sogar eine Plattenaufnahme machte er, zumindest die Bänder dazu waren schon fertig: die deutsche Fassung von „Whiskey In The Jar“. Wir legen die Platte auf und Rudi singt stellenweise noch mit. „Die wollten mich mit Hot-Pants an vermarkten“. Doch er kam zurück. Sein Freund Kai war rauschgiftsüchtig und brauchte ihn. Kai starb und Rudi erkennt die Misere der Rauschgiftkranken: „Hätte ich mehr nachgegeben, wäre es nichts gewesen. Nur einmal habe ich nicht nachgegeben und schon war es aus. Man kann bei Rauschgiftsüchtigen nie das richtige machen.“
„Sag mal Rudi, bekommst Du eigentlich mit, was die Jugendlichen beschäftigt, merkst Du etwas von Jugendarbeitslosigkeit“, fragen wir.


Rudi mit Rio Reiser von Tone Steine Scherben im Schallplattenladen (Keller) von Musik-Durner beim Signieren von Rios Biographie. 

„Manchmal höre ich zu, wenn die Jugendlichen sich unterhalten. Mir wird ganz Angst, so agressiv reden die. Als Diskjockey mußte ich mir alle Nöte und Sorgen der Teenies anhorchen. Ich bin der reinste Sozialarbeiter.

AUF’S EIS GELEGT

Nach einer Nasenoperation, aus seinem „Zinken“ wurde fast eine Stupsnase, lag Rudi drei Monate im Krankenhaus und hatte viel Zeit zum „Grübeln“. Sein neues Modewort.


Wenn er das Wort „grübeln“ ausspricht, steigt man mit hinab in den Keller seiner Erinnerungen. Zeit zum Nachdenken hat er auch seit er nicht mehr im „Ice-Club“ die heißen schwarzen Scheiben auflegt und barsche Sätze unters tanzende Disco- Volk durch’s Mikro schreit. „Ich will den Leuten immer an den Kopf schlagen, zum Denken anregen“. Streß, Streß, Streß war sein täglich Brot, das ihn mager hielt. Nachts in der Disko, tags im Plattenladen. Drei Kilo hat er zugenommen, seit er nicht mehr im „Ice-Club“ arbeitet.

Was war geschehen? Rudi wollte nach dem „Ice-Club“-Umbau mehr Geld.

Nach seiner Meinung hat er den Mercedes, die Gaststätte am Kuhsee und den Bungalow seines Ex-Chefs kräftig mit- verdient. „Die Leute sind wegen mir gekommen, nicht wegen dem Ice“, sieht Rudi die Lage. „Ich bin jetzt Dreißig, da denkt man etwas mehr ans Geld“, Seine Forderungen hatten keinen Erfolg. Rudi wurde aufs Eis gelegt. Und, oh Graus, zum Schaden kam noch der Spott; einer seiner besten Freunde übernahm den Job auf der Diskothek.
Wir wünschen Rudi kein fröhliches Weihnachten, aber eine gute Zeit.

Augsburgs Stadtmagazin Lueginsland Dezember 1978
Text: Arno Loeb